Nachdem im letzten Herbst nur der untere Teil des alten Friedhofs mit Gästeführer Peter Meilinger erkundet werden konnte, wurde vor kurzem der obere Teil in Angriff genommen.
Herr Meilinger verstand es wieder einmal, sehr kurzweilig über die Geschichte der Gießener Familien und bedeutender Persönlichkeiten zu berichten. Viele dieser Menschen haben einen wertvollen Beitrag zur Kultur und Wissenschaft in Gießen, oder zur Erweiterung der medizinischen Erkenntnisse und Verbesserung bei Therapien geleistet.
Außer dem berühmtesten in Gießen wirkenden Wilhelm Conrad Röntgen (1845 – 1923) fanden unter anderen ihre letzte Ruhe folgende weniger bekannte, aber dennoch wichtige Persönlichkeiten:
Georg Haas (1886 – 1971), er war von 1924 bis 1954 Direktor der Medizinischen Poliklinik in Gießen. Er führte in Gießen 1924 die weltweit erste „Blutwäsche“, die Hämodialyse mit Erfolg durch. Heute werden in Deutschland 95 Prozent aller Dialyse-Patienten mit dieser Methode behandelt, auch weltweit ist sie das Standardverfahren.
Robert Schlagintweit (1833 – 1885), Reisender und Entdecker. Robert beteiligte sich zunächst an der geologischen und meteorologischen Erforschung der Alpen; mit seinen Brüdern Hermann und Adolf unternahm er auf Vermittlung Alexander von Humboldts eine dreijährige Expeditionsreise nach Indien, die zu wichtigen Erkenntnissen zur Hochgebirgswelt des Himalaya führte. Robert wurde 1864 erster Professor der Geografie in Gießen.
Hans Koeppe (1867 – 1939) war der erste Gießener Kinderarzt und maßgeblich beteiligt an der Eröffnung der ersten Kinderpoliklinik in Gießen 1899. Ziel war es, der hohen Säuglings- und Kindersterblichkeit zu begegnen.
Hermann Hoffmann (1819 – 1891) wirkte fast 50 Jahre an der Universität in Gießen als Professor für Botanik. Er ist der Begründer der Blühphänologie, auf ihn gehen die mehr als 70 noch heute existierenden Phänologischen Gärten und Beobachtungsstellen in Europa zurück. Hoffmann korrespondierte mit Charles Darwin und wurde in mehreren dessen Werke zitiert. Heute hängt im Hörsaal der der nach ihm benannten Hermann- Hoffmann- Akademie in Gießen das bekannte Pottwal-Skelett.
Auch die beiden Professoren Wilhelm Hanle (1901 – 1993) und Schwiegersohn Arthur Scharmann (1928 – 2012) sind hier beigesetzt. Beide haben Großes für die Wissenschaft der Physik geleistet.
Nun zu einer Person, die sicher berühmt geworden wäre, wenn sie länger gelebt hätte: Beatrice Friederike Doering Paetsch (1909 – 1935), sie war eine sehr talentierte Schauspielerin und Sängerin in Gießen, Darmstadt (Hessisches Landestheater) und Bochum. Sie starb 26jährig im Urlaub auf Sylt, als sie an der Nordspitze der Insel von Sand verschüttet wurde.
Es gäbe noch viel mehr über berühmte Gießener zu berichten. Eine Führung auf dem Alten Friedhof in Gießen ist auf jeden Fall zu empfehlen, um in die Gießener Geschichte mit seinen bemerkenswerten Persönlichkeiten einzutauchen.
Übrigens: Man kann sich nicht mehr auf dem Alten Friedhof beerdigen lassen. Ausnahmen: Man besitzt eine Familiengrabstätte oder man pflegt offiziell eines der Gräber und erwirbt sich so das Recht dort beigesetzt zu werden.