Veranstaltung mit Direktkandidaten zur Bundestagswahl 2025 in der Reha-Werkstatt Mitte der Lebenshilfe Gießen
Gießen – Kürzlich fand in der Kantine der Reha-Werkstatt Gießen Mitte eine erfolgreiche Veranstaltung der Lebenshilfe Gießen statt, bei der rund 130 Gäste aus den Einrichtungen der Lebenshilfe und Direktkandidaten aus dem heimischen Wahlkreis zu Gast waren. Die Veranstaltung wurde von Kerstin Ahrens, Veranstaltungsorganisatorin der Lebenshilfe Gießen, moderiert und bot eine angeregte Diskussion über Themen rund um das Motto „Was ist ein gutes Leben?“. Initiiert worden war die Veranstaltung auf Wunsch der Lebenshilfe-Mitarbeiter mit Behinderung und organisiert vom Gesamtwerkstattrat, der Interessenvertretung von Menschen mit Behinderung für Menschen mit Behinderung, der gemeinnützigen Organisation.
Lebenshilfe stellt neues Positionspapier vor
Zu Beginn des Austauschs stand das neue Positionspapier der Lebenshilfe Gießen mit dem Titel „Wir alle sind Menschen 1. Klasse“ im Mittelpunkt. Maren Müller-Erichsen, Aufsichtsratsvorsitzende der Lebenshilfe Gießen, stellte die Grundgedanken des Positionspapiers, das in Anbetracht aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen und Herausforderungen entstanden ist, vor: „Wir als Lebenshilfe haben mit all unseren Gremien dieses Papier verabschiedet. Wir stehen für eine inklusive, demokratische und gerechte Gesellschaft. Wir fühlen uns der UN-Behindertenrechtskonvention in allen Belangen verpflichtet, das heißt: Jeder Mensch hat ein Recht auf Wünsche, sein Leben und ein Recht zu wohnen, zu arbeiten oder auch Freizeit zu gestalten.“
Austausch mit Direktkandidaten, AfD nicht eingeladen
Die Veranstaltung bot zudem Raum für die verschiedenen Direktkandidaten, darunter Desiree Becker (Die Linke), Felix Döring (SPD), Michel Zörb (Grüne), Dennis Pucher (FDP) und Frederik Bouffier (CDU), um ihre Positionen darzulegen und in den Dialog mit dem Publikum zu treten. Daniel Tabert, stellvertretend für den Werkstattrat der Mitarbeiter mit Behinderung, betonte, dass die Veranstaltung dafür da sei, „um aufeinander zuzugehen und den Politikern zu sagen: Auch wir sind Menschen erster Klasse und wählen genauso wie andere Menschen auch. Auch wir werden später von Ihnen im Bundestag vertreten.“
Die AfD wurde nicht zur Podiumsdiskussion eingeladen, da die Partei in ihrem Wahlprogramm inklusive Bemühungen im Bildungsbereich als ideologisch motiviert ablehnt, was die Lebenshilfe Gießen nicht unterstützen kann. Müller-Erichsen erklärte dazu: „Wer die AfD mit ihrem Programm vertritt oder für sie eintritt, kann in der Lebenshilfe keinen Platz haben.“
In der lebhaften Diskussion äußerten sich die Direktkandidaten zu wichtigen Themen, wobei Anja Sandtner vom Büro für Einfache und Leichte Sprache bei etwaigen Verständnisschwierigkeiten zur Stelle war. Auch die Zuhörer beteiligten sich rege mit diversen Zwischenfragen.
Becker und Döring wünschen sich Mindestlohn für Werkstattmitarbeiter
Desiree Becker (Die Linke) betonte: „Wir sollten uns nicht entscheiden zwischen Geld und Soziales, wir brauchen beides.“ Sie hob hervor, dass es wichtig sei, ohne Angst vor Krieg und Gewalt zu leben und dass niemand ausgeschlossen werden dürfe. Auch wünschte sie sich, dass Werkstätten für Menschen mit Behinderung in „inklusive Betriebe“ umgebaut werden sowie einen Mindestlohn für alle Werkstattmitarbeiter.
Felix Döring (SPD) erklärte: „Inklusion bedeutet für mich: Vielfalt ist etwas Gutes und jeder einzelne Mensch ist einzigartig.“ Er äußerte sich kritisch gegenüber der eigenen Partei und dem noch fehlenden klaren Bekenntnis für einen Mindestlohn in den Werkstätten: „Ich sehe das anders. Wenn ein Mensch eine Stunde seines Lebens für Arbeit aufbringt, dann darf das einen bestimmten Wert nicht unterschreiten.“
FDP-Direktkandidat Pucher fordert Bürokratieabbau, Grünen-Kandidat Zörb ist für mehr Durchlässigkeit
Dennis Pucher (FDP) machte klar: „Ich bin sehr glücklich, dass wir solche tollen Werkstätten hier in Deutschland haben.“ Er forderte jedoch auch Verbesserungen in der Finanzierungsstruktur und vor allem einen Bürokratieabbau im sozialen Bereich. Von der zusätzlichen Besteuerung von extrem wohlhabenden Personen und einer Aussetzung der Schuldenbremse für Mehrinvestitionen im Sozialen distanzierte er sich. Die Zusatz-Besteuerung würde Personen treffen, die ihr Geld vor allem in Unternehmenswerten angesiedelt hätten, ferner schätzte er, dass der Staat hierdurch kaum ausreichend Einnahmen erzielen könnte: „Wenn euch einer erzählt, dass ihr mit zehn oder 13 Milliarden Euro die Probleme dieses Landes heilt, dann stimmt das nicht.“
Michel Zörb (Grüne) fuhr fort: „Inklusion ist kurz gesagt, dass alle Menschen einfach frei entscheiden können, selbst entscheiden können, wie sie leben möchten.“ Er plädierte für den Abbau von Sprachbarrieren, zum Beispiel durch den Einsatz von KI, und betonte, dass Flexibilität wichtig sei, um Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Am Werkstattsystem wolle er zunächst noch festhalten, wünsche sich aber mehr wechselseitige Durchlässigkeit zum ersten Arbeitsmarkt: „Man ist ja nicht das gesamte Leben derselbe Mensch.“ Auch müssten Unternehmen verstärkt beraten werden, um Menschen mit Behinderung einzustellen.
Bouffier will individuelle Stärken fördern und Bezahlung verbessern
Frederik Bouffier (CDU) stellte wiederum klar: „Wir müssen weiter und zielgerichtet in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln. Es geht um eine umfassende Barrierefreiheit.“ Jeder Mensch habe eigene Stärken, die es zu fördern gilt. Auch Bouffier sieht den Mindestlohn derzeit nicht als den richtigen Weg für die Werkstätten, dennoch solle man sich zu einer verbesserten Bezahlung hinentwickeln.
Abschließend betonte Daniel Tabert: „Bürokratie ist die größte Behinderung in der Inklusion.“ Lebenshilfe-Vorstand Dirk Oßwald ergänzte im Rahmen der Veranstaltung: „Die Lebenshilfe Gießen kritisiert gemeinsam mit anderen Trägern der Behindertenhilfe sowie zahlreichen betroffenen Beschäftigten die derzeitige Lohnstruktur für Mitarbeitende mit Behinderung in unseren Werkstätten. Der durchschnittliche Lohn liegt bei etwas über 220 Euro pro Monat und wird durch verschiedene Sozialleistungen aufgestockt. Wir wünschen uns ein vereinfachtes und gebündeltes Lohnmodell, das die Wertschätzung für die gute Arbeit unserer Mitarbeiter*innen angemessen zum Ausdruck bringt.“ Weitere Informationen zur Lebenshilfe und das neue Positionspapier zur Ansicht auf www.lebenshilfe-giessen.de.