Von: Ingo Berghöfer
In dem zum Abriss bestimmten legendären »Alpine Club« in Gießen gehen für ein paar Stunden noch mal die Lichter an. Es gibt viel Musik und Erinnerungen an das einstige »Herz« des US-Depots.
Einst ein geheimnisumwitterter Ort, heute ein »lost place«, der schon bald abgerissen werden soll, erstrahlte der legendäre »Alpine Club« für einen Abend lang für rund 200 Besucherinnen und Besucher noch einmal im alten Glanz. Der umtriebige Dennys Sawellion von der Band »Back 2 the 80s« hatte nicht nur Eigentümer Daniel Beitlich von der Revikon GmbH, sondern auch den aktuellen Mieter Manfred Becker, der für das Regierungspräsidium Gießen die Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen leitet, für seinen verwegenen Plan begeistern können.
IMG_7907»Wir haben uns damals gefragt, ob er das immer noch machen will, wenn er das Gebäude einmal gesehen hat«, erklärte Becker, doch Sawellion ließ sich nicht davon entmutigen, dass es im einstigen Kult-Club heute weder Wasser, Strom noch Toiletten gibt. Während draußen an der alten Panzerstraße (heute Am Stolzenmorgen) die Temperaturen unter den Gefrierpunkt fielen, heizten drinnen »Back 2 the 80s« und »Jokers« den begeisterten Fans bei American Street Food und Miller Beer ein. Die »Jokers« um den ehemaligen – auch in Gießen stationierten – GI Jerry Stanley wollten die Gäste als letzte Band einer langen »Nostalgical Mystery Tour« gar nicht mehr von der Bühne lassen.
Der Mix aus Rock- und Soul-Klassikern wie »My Girl«, »Mustang Sally« oder »Sittin’ On (The Dock of the Bay)« kam auch bei Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher gut an, der extra noch nach der Stadtverordnetenversammlung mit dem Rad in die Oststadt gekommen war und bis zum Ende blieb. Höhepunkt dieses Auftritts war eine gekonnte Verzahnung von »Stand by me« mit dem Megahit von Police »Every breath you take«. Danach musste der auch schon über 70 Jahre alte Bassmann Jerry aber passen. Er hatte einen Krampf in der Schlaghand.
Zum Auftakt gab die Hip-Hop-Dance-Crew der Gießen 46ers »B-Jam Sharks« von Steffi Kaiser eine Kostprobe ihrer Akrobatik, während im Mittelpunkt der Veranstaltung zwei Auftritte der Gastgeber standen. Die Lokalmatadoren »Back 2 the 80s« holten zunächst mit einem kurzen Potpourri die neongrelle Disco-Zeit der 80er in den »Alpine Club« zurück und präsentierten dann mit »Stay the night« ihre neue Single, die ab dem heutigen Samstag auf allen einschlägigen Online-Plattformen zu finden ist.
Für die Würdigung der einzigartigen Location sorgten Zeitzeugen wie die frühere Pressesprecherin des US-Depots und Vorsitzende des Deutsch-Amerikanischen Freundschaftsclubs »Die Brücke«, Petra Bröckmann. Der mittlerweile 75 Jahre alte Verein hält als letzter von vier ähnlichen Vereinen in Gießen die Verbindung zwischen den Siegern und Besiegten von einst aufrecht.
Herz und Seele des US-Depots
Bröckmann trug auch ein Grußwort des letzten Standortkommandeurs Colonel David Bender vor. Die heutige Feier wecke bei ihm viele Erinnerungen. Der »Alpine Club« sei das »Herz unserer Gemeinschaft« gewesen, so Bender. Jede größere Zeremonie des US-Militärs in der Region habe dort stattgefunden. Auch die US-Standorte in Kirchgöns und Friedberg hätten ihn für ihre Veranstaltungen genutzt. Die Bewohner der Soldaten-Siedlungen hätten sich im »Alpine Club« zudem immer zu ihren Townhall-Meetings, also Bürgerversammlungen, getroffen. Obendrein seien dort Standortkommandeure offiziell verabschiedet und begrüßt worden. Aber auch das Weihnachtsfest und den Jahreswechsel »mit Nikolaus und Schornsteinfeger« habe man im »Alpine Club« zelebriert. Bender schloss mit den Worten: »Danke, dass Sie das alte Feuer noch einmal entfacht haben.«
Interessante Details zur Geschichte des fast 100 Jahren alten Gebäudes steuerte der Kulturbeauftragte der Revikon GmbH, Matthes von Oberhessen, bei. Erbaut wurde es nämlich als Wirtschaftsgebäude für untere und mittlere Dienstgrade der deutschen Luftwaffe in den 1930er Jahren. Dort sei auch die Kantine untergebracht gewesen. Zwar habe es noch ein Kasino für die höheren Dienstgrade auf dem Luftwaffenstützpunkt Gießen gegeben, doch die Herren Offiziere hätten sich lieber unters »gemeine Volk« gemischt. »Die Stimmung war wohl besser und es gab auch mehr weibliches Personal«, so Matthes.
IMG_7999Ursprünglich sei das »Alpine Club«-Gebäude deutlich größer gewesen, doch sein hinterer Teil sei durch einen Bombentreffer bei einem amerikanischen Luftangriff auf den Flughafen am 24. Dezember 1944 schwer beschädigt und später abgerissen worden. Nach der Übernahme wurde schließlich der »Alpine Club« als einer von dreien solcher Einrichtungen neben dem edlen »Officer’s Club« und dem nicht minder legendären »Woodland Club« etabliert.
Matthes bedauert den Abriss des Gebäudes, dem er eine solide Bausubstanz bescheinigt, »sonst würden wir hier ja heute Abend nicht feiern dürfen«. Allerdings sei es durch jahrelange Verwahrlosung durch den damaligen Eigentümer, dem deutschen Staat, sehr heruntergekommen. Auch wäre es wohl zu teuer, das Haus auf den aktuellen energetischen Stand zu bringen. Das Erdgeschoss, in dem einst eine italienische Pizzeria war, sei mit seiner niedrigen Deckenhöhe heute wohl ohnehin nicht mehr für einen Gastronomiebetrieb geeignet.
IMG_8014Er selbst werde das Gebäude mit seinem ureigenen verwitterten Charme jedenfalls vermissen. »Mit seinen endlosen Gängen und dem alten Teppichboden sieht der ›Alpine Club‹ ein bisschen aus wie das ›Overlook Hotel‹ in dem berühmten Horrorfilm ›Shining‹ aus. Wenn ich hier alleine bin, frage ich mich manchmal, ob nicht gleich Jack Nicholson mit seinem irren Grinsen um die Ecke biegt.«
Die meisten Besucher werden den »Alpine Club« in der Nacht wehmütig verlassen haben. Nur Oberarzt Prof. Christian Jux durfte sich freuen. Denn alle Spenden des Abends für Essen und Getränke gehen an das von ihm betreute Kinderherzzentrum Gießen.