Erste Demonstration am 30. August 2004 – 20 Jahre Gießener Montagsdemonstration

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Hartz IV heißt jetzt Bürgergeld – sonst ändert sich Nix!

 

Ich muss mich sehr am Riemen reißen um diesen Artikel einigermaßen kurz zu halten. Zu viele einzelne Aspekte dieses „Jubiläums“ verdienen eine Erwähnung.

 

In einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers Gerhard Schröder am 14. März 2003 wurde der grundsätzliche Umbau (um es neutral zu formulieren) des BRD-Sozialsystems angekündigt. In Leipzig gab es bereits im Herbst 2003 und verstärkt ab dem 29. März 2004 wöchentliche Montagsdemonstrationen gegen Sozialabbau.

 

Flankiert von einer flächendeckenden Kampagne gegen so genannte Sozialschmarotzer in den regierungshörigen Medien (überaus eklig in BLÖD) wurde die Einbringung des entsprechenden Gesetzesvorlage (als Hartz-IV – heute Bürgergeld allgemein benannt) ab Sommer 2004 auf den Weg gebracht. Bis weit in die (eigentlich der Regierungspartei hörigen) Gewerkschaften hinein entwickelte sich BRD-weit eine Widerstandsfront dagegen. Auch in unserer Region: 30. August 2004 war also in Gießen die erste Montagsdemonstration gegen Hartz IV. Das ist kein Zufall, denn an diesem Tag wurden in über 200 Städten von mindestens 200 Tausend Menschen gegen die im Abstimmungsprozess im Bundestag sich tummelten Hartz-IV-Gesetz demonstriert. Danach bekamen die meisten Gewerkschaften kalte Füße, da zu befürchten war, dass die aufgewachten Arbeiter die „Arbeiterpartei“ nach diesen ganz praktischen Erfahrungen nicht mehr wählen würden. (Es nütze aber nix, denn ab dem 18. September 2005 (Datum der Bundestagswahl) begann die Kohl-Zeit.)

 

Ab 1.1.2005 trat das Gesetz in Kraft. Deren bis heute negativen Auswirkungen auf die Rechten und den Geldbeutel der Arbeiter will ich nicht näher anführen. Die setze ich als bekannt voraus. Hat sich in den knapp zwanzig Jahre etwas grundsätzlich diesbezüglich verbessert. Meiner Einschätzung nach nicht. Das Geld reicht gerade zum Überleben. Und weil das so ist, halten die noch Beschäftigten in „ihrer“ Firma in der Regel ihre Schnauze, weil sie sich nicht vorstellen können davon leben zu können. Genau das war von den damaligen führenden Leutchen der Partei der Arbeiterverräter eigentlich gewollt. (Mir heute noch unbegreiflich, dass das die Gewerkschaften damals nicht mit bedacht haben.)

 

Randbemerkung: Hätte ein „C“DU Regierung das Gesetz eingebracht, hätte sich bei dem breiten Mobilisierungsgrad im Herbst 2004 ganz massiver Widerstand auf den Straßen entwickelt. Es war und ist wie heute: soziale Grausamkeiten können in der BRD nur von Seiten der Partei der Arbeitervertreter letztendlich gegen die Bevölkerungsmehrheit durchgesetzt werden.

 

(Aktuell zur Bürgergeld “Reform“: Offensichtlich setzen die Manipulatoren der Medien auf die Vergesslichkeit breiter Kreise der Bevölkerung. Wie im Jahre 2004 wird im Moment gegenüber Sozialschmarotzer – Arbeitsverweigerern im System gehetzt.)

 

In Gießen gab es bis zum Jahreswechsel 04/05 mehrere Montagsdemonstration bevor sich der Widerstand in der heute noch existierenden Form einer „stehenden“ Demonstration umformte. In den ersten Jahren beteiligten sich immer montags zwischen 18 – 19 Uhr mehrere Dutzend Mitbürger beim Treffpunkt „Drei Schwätzer“. Heute sind davon nur eine Handvoll „Treuesten der Treuen“ (z.Z. ab 16:30 h) dabei. Es werden auch keine Flugblätter mehr verteilt, aber zumindest entrollen wir ein Transparent und stehen für Interessenten zur Diskussion bereit.

 

Kann diese Mini-Ansammlung eigentlich mit einer gewissen Berechtigung sich noch Montagsdemonstration nennen?

 

Ich denke ja:

 

  1. Weil die „Letzten“ schon seit vielen Jahren die Tradition hoch halten (ich selber bin seit Sommer 2005 dabei). Jeder Widerstand – auch wenn er wenig erfolgreich war oder ist – braucht die Erinnerung an die Grausamkeiten der bürgerlichen Gesellschaft und deren politischen Sachwalter. Nur aus der Erinnerung heraus ist zukünftiger neuer Widerstand denkbar.

 

  1. „Hartz IV heißt jetzt Bürgergeld – sonst ändert sich Nix!“ Wenn auch seit 2005 manches Folterwerkzeug humanisiert worden ist, bleibt der Grundsatz erhalten: Wir stecken den Reichen auf Kosten der Amen noch mehr Geld irgendwo rein.

 

  1. Selbst im bürgerlichen Lager spricht es sich langsam rum, dass die Schere zwischen arm und reich in der BRD immer weiter aufgeht. Ich hoffe immer noch, dass ab einen gewissen Grad der Massenarmut sich die Armen organisieren. Denn irgendwann heißt es: Genug ist Genug! Und genau in dem Bereich „wo kommt mein Geld bei Arbeitslosigkeit her“ ist doch der erste Anknüpfungspunkt für alle Arten von Arm Gemachten wieder massenhaft auf die Straße zu gehen.

 

In diesem Sinne halte ich es für angebracht an das „20 – Jährige“ der Gießener Montagsdemonstration zu erinnern.

 

Wer sich weiter informieren möchte: https://de.wikipedia.org/wiki/Montagsdemonstrationen_gegen_Sozialabbau_ab_2004

Martin Wagner
Bin schon seit vielen Jahren eher als Kommentator von Fremdartikeln als eigener Artikelschreiber (da fehlt mir etwas der Stil .......) unterwegs.

3 Kommentare

  1. Vielen Dank, Herr Wagner.
    Ergänzend zu der aktuellen Diskussion um die Verweigerer:
    Etwa 5,5 Mio Menschen beziehen Bürgergeld.
    1,8 Mio davon sind Kinder und Jugendliche.
    2 Mio sind Rentner, chronisch Kranke und “Aufstocker”.
    Verbleiben 1,7 Mio sonstige Bürgergeldbezieher.
    Davon gehört wiederum ein großer Teil zu den 1 Mio Ukraineflüchtlingen.
    Die Quote der “Totalverweigerer liegt bei ca. 0,3 %.