KI trifft Bibel: „Holy Bibbia“ feiert Filmpremiere in Gießen

Roberto Basile, Claudio D'Attis und Karsten Kopp im Gespräch. Foto: B. Özer

(kk) Am letzten Freitag hat der Deutsch-Rumänische Verein Gießen e.V. zu einer Filmpremiere des Kurzfilms „Holy Bibbia“ von Claudio D’Attis in den Prototyp eingeladen. Der deutsch-italienische Regisseur wurde 1978 in Köln geboren und wuchs in Apulien auf. 2021 erhält sein Kurzfilm „Holy Wine“ einen Preis beim Standalone Film Festival in Hollywood. Seit 2022 lebt und arbeitet D’Attis in Wetzlar und hat sich in der regionalen und überregionalen Independent-Kurzfilmszene bereits einen Namen gemacht. So präsentierte bereits einen Film beim Gießener Filmfestival „Seriale“.

D’Attis widmet sich im Rahmen seiner Serie „Holy“ alltäglichen Dingen und Ereignissen und setzt sie in den Kontext des Religiösen bzw. einer Beziehung zwischen Mensch und Glaube. Dies kann skurril wirken – wie auch in diesem Fall. Die Inspiration für den neuen Stoff gab eine unangenehme Erfahrung, wie der Regisseur im anschließenden Filmgespräch sagt: Mehrfaches Geblitztwerden in Radarkontrollen habe ihn dazu angeregt, über die Kontrollmechanismen unserer Gesellschaft nachzudenken. Der Automatismus der Radargeräte inspirierte ihn, über die aktuelle Thematik der künstlichen Intelligenz nachzudenken. Durch die Linse dieser Verkehrsüberwachungsgeräte beleuchtet er die tiefere Bedeutung von Kontrolle, Technik und Glaube. D’Attis zeigt, wie scheinbar triviale Gegenstände eine tiefere, symbolische Bedeutung erlangen können.

Im Mittelpunkt steht das fragmentarisch erzählte Schicksal einer einsamen Krankenschwester (Comasia Castellana), die ihren Glauben in einer skurrilen Klinik verbreitet. Parallel dazu beschäftigt sich Pfarrer Haase (Alexander Hoymann) intensiv mit den Möglichkeiten und Herausforderungen der künstlichen Intelligenz (verkörpert von Roberto Basile). Ähnlich wie die neutestamentlichen Evangelisten, die mit unterschiedlichen Schwerpunkten, aber einer gemeinsamen Intention das Leben, den Tod und die Auferstehung Jesu erzählen, verweben sich die Schicksale und Geschichten von vier modernen Evangelisten (Franco D’Attis, Karin Herbort, Daniela D’Attis und Michele Nappo). D’Attis bezeichnet diesen Prozess als Algorithmus, angelehnt an den informatisch-mathematischen Begriff. Die modernen Evangelisten verkörpern die Grundfragen von Individuum, Glaube, Freiheit und Strafe. Das Ganze geschieht nicht ohne Humor: „Wenn Sie noch weitere Fragen haben, lesen Sie die Bibel,“ sagt die KI im Film zu Pfarrer Haase, der in der Geschichte viermal im Auto geblitzt wird.

Der Kurzfilm spielt zugleich auf machkritische Fragen von Überwachung und Kontrolle an, wenn das Klinikpersonal KI-entfremdet den Verlust einer Patientin harsch anprangert und mit Konsequenzen droht. Die Vorstellung des „Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit“ von einer göttlichen Instanz, die der deutsche Theologe Friedrich Schleiermacher formulierte, wird geradezu pervertiert, wenn die KI diese Rolle übernimmt und ihr Gegenüber als Gläubigen identifizieren kann und die Bibel zum Beantworten weiterer Fragen empfiehlt oder die verwirrte Schwester mit ihren traumatischen Erfahrungen von Tod und Trauer manipuliert. D’Attis nimmt den Zuschauer auf eine Reise von Experimentierfreude an technischen und narrativen Spielereien.

Das Werk irritiert zugleich, da der Kurzfilm essayistisch ist und eigenwillig paradoxe, wenngleich originelle Elemente verbindet, ohne dabei eine nachvollziehbare Handlung zu erzählen. Doch darum geht es D’Attis nicht. Er möchte in einem Mosaik an Fragen und Denkanstößen zum Philosophieren über den Einfluss von KI auf unser Leben und den Glauben anregen. Dies wird im Filmgespräch deutlich, wenn D’Attis von einer Frau erzählt, die aufgrund ihres unorthodoxen Lebenswandels zwischen Kirche und Kasino, von einem Freundschaftsgeschenk einer großformatigen Bibel und dem Verlust einer geliebten Person im familiären Kontext berichtet.

Künstliche Intelligenz hat seine Arbeit an dem Film in vielerlei Hinsicht verändert: Angefangen bei der Konzeption des Drehbuchs per Prompts, über visuelle Effekte bis hin zum Arrangement des Szenenbildes. Da nicht alle Darsteller, die größtenteils Familienmitglieder von D’Attis sind, gleichzeitig am Set sein konnten, wurden einige Tricks angewendet, um dieses Problem zu lösen. Dies motiviert Karsten Kopp, den Vorsitzenden des Deutsch-Rumänischen Vereins, zu der Frage, ob KI die „Regie in Zukunft überflüssig machen kann?“ Die Antwort des Filmemachers D’Attis fällt eindeutig aus: „Ausgeschlossen.“ Sein Regieassistent Roberto Basile fügt hinzu: „Wenn die KI die Kunst übernimmt, ist die Welt platt.“

D’Attis wird „Holy Bibbia“ am 12. August in seiner Studienstadt Lecce präsentieren und möchte zwischen September und Weihnachten auf Tournee in der Emilia-Romagna (Italien) gehen.

 

Deutsch-Rumänischer Verein Gießen e.V.
Herzlich willkommen! Bine ati venit! Wir initiieren soziale, kulturelle und wissenschaftliche Veranstaltungen sowie Projekte | Mail: deruve.gi@gmail.com | Facebook: deruve.giessen