30 Jahre nach dem Benachteiligungsverbot für Menschen mit Behinderung im Grundgesetz zieht Lebenshilfe-Bundesvorsitzende Ulla Schmidt eine ernüchternde Bilanz / Auch Lebenshilfe Gießen fordert mehr Inklusion
Berlin/Pohlheim – Am 30. Juni 1994 beschloss der Deutsche Bundestag, den Satz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes aufzunehmen. 30 Jahre danach erinnert die Bundesvereinigung Lebenshilfe an diesen für Menschen mit Behinderung und ihre Familien so bedeutungsvollen Tag. „Als Abgeordnete des Bundestages habe ich damals mit ganzem Herzen diesem Verfassungszusatz zugestimmt. Das Benachteiligungsverbot sollte uns auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft voranbringen. Auch die Lebenshilfe hatte sich mit aller Kraft dafür eingesetzt. Doch leider müssen wir heute feststellen, dass die Inklusion in Deutschland ins Stocken geraten ist“, so die ernüchternde Bilanz von Ulla Schmidt, der Lebenshilfe-Bundesvorsitzenden und Bundesministerin a.D.
Die Lebenshilfe verweist auf die Staatenprüfung im August 2023 in Genf. Der zuständige Fachausschuss zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention stellte Deutschland ein schlechtes Zeugnis aus und bestätigte damit die Kritik der Lebenshilfe. Sie fordert: Deutschland müsse endlich inklusiver werden! Hierfür brauche es vor allem mehr Barrierefreiheit und eine inklusive Kinder- und Jugendhilfe.
„Über die Kinder- und Jugendhilfe für alle“, erläutert Ulla Schmidt, „wird seit Jahren diskutiert. Ein Gesetzentwurf wird seit Monaten angekündigt und muss jetzt endlich kommen, damit künftig alle Kinder – ob mit oder ohne Behinderung – die Unterstützung vom Jugendamt bekommen, die sie und ihre Familien brauchen und Verschiebebahnhöfe zwischen den Behörden endlich der Vergangenheit angehören.“
Auch die Lebenshilfe Gießen unterstützt das Bestreben der Bundesvereinigung. Maren Müller-Erichsen, Aufsichtsratsvorsitzende, betont: „Arztpraxen, Geschäfte, Gaststätten, Verkehrsmittel oder Kulturveranstaltungen müssen endlich in der Breite barrierefrei werden. Ist umfassende Barrierefreiheit im ersten Schritt nicht zu erreichen, müssen die Anbieter von Waren und Dienstleistungen zumindest verpflichtet werden, Menschen mit Behinderung im Einzelfall den Zugang durch Hilfestellungen zu erleichtern. Zum Beispiel, indem sie bei einer Stufe am Eingang eine mobile Rampe anlegen oder die Speisekarte vorlesen und auf Wunsch in Leichte Sprache übersetzen. Entsprechende Regelungen gibt es etwa in den USA seit Jahrzehnten, es gilt diese zu fördern, auch in unserer Region. Es ist nun an der Zeit, dass sich die Ampel-Koalition wie im Koalitionsvertrag versprochen auf entsprechende Regelungen einigt.“