Um 1880 drohte vielen hessischen Bauern die Verelendung

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Stefan Prange

Stefan Prange schloss Geschichtsvereins-Vortragsreihe ab

Mit einem gut besuchten Vortrag von Stefan Prange beendete der Oberhessische Geschichtsverein im Netanya-Saal des Alten Schlosses die Vortragsreihe des Winterhalbjahres. Vereinsvorsitzender Dr. Michael Breitbach  stellte den lange Jahre als Studienberater tätigen Referenten als erfolgreichen Buchautor mit seinem Werk über Klein-Linden vor, der sich jetzt  im Ruhestand  wieder der  historischen  Sozialwissenschaft zugewendet habe. Gießen habe für die Bauern des Umlandes immer eine große Bedeutung gehabt, wobei das Hauptaugenmerk des Referenten der ländlichen Umgebung gelte. Probleme wurden seitens der Verantwortlichen im Großherzogtum häufig “mit Sprache  zugeschüttet.” So der Referent. Da mag sich so mancher an die Realtät 2024 erinnert haben …

Prange stelte zunächst klar, dass er  sich mit der Lage der Bauern um 1880 in Oberhessen und Starkenburg befasst und Rheinhessen als dritten Bestandteil des Großherzogtums bewusst (Winzer !) ausgeklammert habe. Je nach Größe der landwirtschaftlichen Betriebe in Hektar und Prozent , gestützt auf die Ergebnisse einer Enquete-Untersuchung der Jahre 1884-86, die unterschiedliche Dörfer mit je drei Bauernhöfen verschiedener Größen untersucht hatte, hatte  er die Frage nach Rentabilität und damit auch der Überlebensfähigkeit gestellt.

Zu den untersuchten Dörfern hatte auch Beuern gehört, das 1882 etwa 1000 Einwohner und 250 Haushalte hatte. Dabei stellte sich heraus, dass alle untersuchten Betriebe über die Familie hinaus zusätzliche Arbeitskräfte benötigten, die Rentabilität oft  gerade knapp ausgeglichen war , der Energiebedarf oft nur zu 85% gedeckt war. Während die Regierung finanziell zurückhaltend agierte, wurde die Sprache mit guten Ratschlägen nach dem oben genannten Modell bemüht. Laut Prange waren dagegen die landwirtschaftlichen Vereine echte Kenner der Materie, ebenso wie Genossenschaftsbewegungen .Die von ihnen herausgegebenen Zeitungen hätten trotz oder wegen ihres Rufes als “Besserwisser” in kaum einer Gemeinde gefehlt und seien sogar im Schulunterricht eingesetzt worden .Natürlich gab es in jeder Gemeinde auch Landlose ohne bäuerlichen Besitz.

Sehr gering war die Entlohnung für Tagelöhner: 1,50 Mark ohne Verpflegung,  mit Verpflegung 0,70 Mark. Beste Verdienstmöglichkeit bot der Steinbruch mit 2 Mark pro Tag.        Der  Wert einer Kuh lag bei 20 Mark . Der Referent zitierte den Autor Schnapper, der für fünf Dörfer im hohen Taunus ähnliche Ergebnisse erzielte. Deutlich besser war die Lage in den “reichen” Dörfern der Wetterau, stellte Prange klar. Knappheit bei den “Reichen”, Elend bei den Armen war der ideale Nährboden für einen seit 1886 aufkommenden “Agrarantisemitismus”, andere Parteien hatten keine Alternative. So fand der Nazi Otto Böckel die ideale Basis für die hervorragenden Ergebnisse der NSDAP in den untersuchten Gebieten.

Text und Bild des Referenten: Dr. Hans-Wolfgang Steffek M.A.