Gießen im Würgegriff von Automob und Kapital

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Vier Jahre politisches Engagement von Menschen aus Gießen und Umgebung, viel planerische Vorarbeit, ein Bürger*innenantrag und das Hauptthema einer Kommunalwahl, dann eine intensive Informationsarbeit und Bürger*innenbeteiligung, eine ziemlich perfekt geplante, in Rekordzeit durchgeführte Baustelle mit 1,7 Mio Euro Kosten und fast die Fertigstellung … dann aber schnippt das Kapital (u.a. in Form von Karstadt) mit dem Finger, macht ein Filz in der Justiz seiner konservativen Funktion in der Gesellschaft alle Ehre und organisieren schließlich CDU & Co. einen gewalttätigen, massen-rechtsbrüchigen Automob – und schon wandeln sich die Fraktionen von Grüne, Linke und SPD (mal wieder) zum Bettvorleger von Profitinteressen und Faustrecht.

Als Begleitmusik zu den Machtspielchen hinter den Mauern von Verwaltungen und Justiz zettelte vor allem die CDU eine bemerkenswerte Hetzkampagne gegen eine gerechtere Aufteilung des Verkehrsraums an, der in Gießen fast überall nur den Autos gehört. Zentrale Aussagen dafür waren zwei Lügen, einmal die Behauptung, die Innenstadt würde für Autos nicht mehr erreichbar sein (schön wär‘s), und zum zweiten, dass die Kosten viermal höher sein würden als geplant. Beides war frei erfunden, aber in Verbindung mit platten Wahlsprüchen und -plakaten wie „Auto verbieten verboten“ (Fehler im Original) und einer auf die Hetzkampagne einsteigenden Tageszeitung (Anzeiger) entwickelte sich schnell ein Mob aus Autofahrer*innen, die Recht und Gewalt in die eigene Hand nahmen, Verkehrsregeln nicht mehr beachteten und Menschen bedrohten, bespuckten, anpöbelten, mit dem Auto anfuhren oder verprügelten. Solche Folgen von Hetzkampagnen sind nicht neu. Opfer sind meist Migrant*innen, Arbeitslose, Menschen mit Einschränkungen oder Wohnungslose. Mit der Gruppe der Radfahrenden als Ziel von Übergriffen erreicht es diesmal auch besser situierte Bevölkerungskreise. Deren politische Sprachrohre, hier vor allem die Grünen, lassen sie aber im Stich, um die eigene Macht zu erhalten – mit zweifelhaftem Ergebnis. Sie berauben sich ihrer eigenen Basis und sind dann selbst der Willkür des rasenden Automobs (im doppelten Sinne des Wortes) ausgeliefert. Die Razzia im Rathaus Gießen am 27.9.2023 zeigte das deutlich.

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1 Kommentar

  1. Herr Bergstedt; ich teile ihre politische Einschätzung. Um einen alten Spruch aus der Friedensbewegung abzuwandeln: Antikapitalismus ist nicht Alles, aber ohne Antikapitalismus ist Alles Nichts.

    Natürlich hängen in unserer heutigen Ziet “Alles mit Allem” zusammen. Aber ohne die Beseitigung des Kapitalismus ist Alles Nichts.

    Natürlich sind die meisten Radfahrer – die haben ja so viel Geld um sich so ein Teil leisten zu können – dem bürgerlichen Lager zu zuordnen. Ich gebe mich schon seit Jahren nicht mehr der Hoffnung hin, dass diese Kreise ernsthaft an der Beseitigung des Kapitalismus ein Interesse haben.

    Wer steht als Bündnispartner im antikapitalsitischen Kampf zur Verfügung: das sind die Arbeiter (meist nicht einmal die Angestellten) und die aus dem System “Gekippten”.

    Herr Bergstedt – vier Jahre intensiver politischer Kampf als verloren einzustufen: das ist sicher hart. Aber mir bleibt eine kleine Hoffnung: Auch statistisch nachweisbar ist, dass in der aktuelle BRD die Massenarmut gewaltig zunimmt. Hier wächst langsam aber stetig das (nächste) antikapitalistische Potential heran.