Pohlheim/Großen-Buseck (-). Iris Heyden ist eine eindrucksvolle Persönlichkeit – ein Mensch mit einem klaren moralischen Kompass, mit einem Gefühl für Gerechtigkeit. Dabei setzt sie sich nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere ein. Das unterstich die 48-jährige Gießenerin erst kürzlich, als sie eine Unterschriftenaktion für höhere Werkstattlöhne für Menschen mit Behinderung startete und lokalen Bundestagsabgeordneten zukommen ließ. Die Lebenshilfe Gießen, auf deren Biolandhof Iris Heyden seit rund acht Jahren arbeitetet, unterstützt sie bei ihrem wichtigen Anliegen – beide wünschen sich von einer neuen Bundesregierung eine schnelle Änderung der gesetzlichen Regelung zum Werkstattlohn von Menschen mit Behinderung.
„Es ist im Grunde ganz einfach: Ich will unbedingt vom Sozialamt loskommen – mein Ziel ist es, unabhängig zu werden“, findet Heyden klare Worte für ihre Sache. Die studierte Diplom-Ökotrophologin, die aufgrund einer chronisch-psychischen Erkrankung seit einigen Jahren nicht mehr auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig ist, ist schon länger unzufrieden mit der Art und Weise, wie sich ihr Auskommen als Mitarbeiterin einer Werkstatt – hierzu zählt auch der Lebenshilfe-Biolandhof – gestaltet.
Neben ihrem Werkstattlohn in Höhe von 235 Euro steht Iris Heyden eine Grundsicherung zu – hiervon werden allerdings rund 60 Euro des Werkstattlohns abgezogen, ebenso ihre gesamte Erwerbsminderungsrente. Ihr Einkommen setzt sich also aus verschiedenen Teilen, die sich gegenseitig beeinflussen, teils mindern zusammen – Heyden haushaltet monatlich mit einem Betrag zwischen 800 und 870 Euro. „Wenn ich dann davon alles Notwendige abgezogen haben, dann bleiben mir noch etwa 300 oder 400 Euro zum Leben. Allerdings bekomme ich, wenn zum Beispiel mal der Kühlschrank kaputtgeht, keine Unterstützung vom Amt, dem ich ja sonst zugewiesen bin. Ich muss also damit auskommen“, so die Biolandhof-Mitarbeiterin.
Den Impuls, nun aktiv gegen diesen prekären Umstand anzugehen, löste der Tod von Iris Heydens Vater im Jahr 2017 aus. Amtsanfragen hinsichtlich einer etwaigen Erbschaft und damit verbundene drohende Einkommenskürzungen sorgten für Verunsicherung. Zwar erbte damals Iris Heydens Mutter, doch keimte in ihr sogleich die Frage auf: „Was passiert denn, wenn mal meine Mutter stirbt und ich tatsächlich etwas erbe. Das fand ich unerträglich.“
Iris Heyden möchte nicht auf „Stütze“ angewiesen sein – sie möchte ihr eigenes Geld verdienen. Geld, das ihr niemand nehmen, niemand kürzen kann: „Derzeit kann ich ja nicht mal nebenher arbeiten, um mir etwas aufzubauen – das wird mir sofort von der Grundsicherung abgezogen. Davon will ich endlich loskommen.“
Die Lebenshilfe Gießen trägt das Anliegen ihrer Mitarbeiterin mit. Lebenshilfe-Vorstand Dirk Oßwald, dessen Rat Heyden anfänglich suchte, ermunterte sie entsprechend zur Unterschriftenaktion, um auf die staatlich vorgegebene Problematik aufmerksam zu machen. „Mich hatte das sehr beruhigt und auch sehr ermuntert, dass sich Herr Oßwald hinter mich gestellt hat“, sagt Heyden, die sich ferner über ermunternde Worte von Biolandhof-Leitung Petra Mertens freute.
Dirk Oßwald skizziert die Haltung der Lebenshilfe Gießen, einer der größten regionalen Lebenshilfe-Vereinigungen im gesamten Bundesgebiet: „Bereits seit Jahren setzen wir uns, gemeinsam mit weiteren Sozialverbänden, dafür ein, dass sich unsere Werkstatt-Mitarbeiter*innen nicht mehr an unterschiedliche Stellen wenden müssen, um Grundsicherung und zum Beispiel Arbeitsentgelt, das auch noch aus verschiedenen Bausteinen besteht, zu erhalten und damit ihren Lebensunterhalt sicherzustellen.“ Zudem betont der Lebenshilfe-Vorstand, der darauf verweist, dass deutschlandweit rund 150.000 Werkstatt-Mitarbeiter*innen auf Leistungen aus der Grundsicherung angewiesen sind: „Unsere Beschäftigten mit Behinderung müssen einen angemessenen Betrag für ihre gute Arbeit erhalten, über den sie selbstbestimmt verfügen können – und sie müssen ihr Geld als Lohn von einer einzigen staatlichen Stelle erhalten, sozusagen aus einer Hand. Das hat auch etwas mit Wertschätzung zu tun.“
“Ich fühle mich momentan nicht wertgeschätzt durch die politischen Strukturen”
Iris Heyden stimmt zu und erläutert: „Ich fühle mich wohl auf dem Biolandhof und bei der Lebenshilfe, jedoch fühle ich mich momentan nicht wertgeschätzt durch die politischen Strukturen – man sollte von der Politik aus anerkennen, was wir Menschen mit Handicap leisten. Gerade während der Corona-Zeit zum Beispiel besuchten sehr viele Menschen auch die Märkte. Auch ich verkaufe regelmäßig am Lebenshilfe-Marktstand.“
Insgesamt sammelte Iris Heyden rund 40 Unterschriften von Mitarbeiter*innen, Bekannten und Familienangehörigen, die ebenfalls einen höheren Werkstattlohn aus einer Hand fordern. Diese Unterschriftenliste sandte Heyden in einem gemeinsam mit Dirk Oßwald verfassten Brief an fünf mittelhessische Bundestagsabgeordnete. Immerhin von zweien, von Dagmar Schmidt (SPD) und von Omid Nouripour (Grüne), erhielt sie bereits ein Rückschreiben. „Das hat mich schon mal gefreut, dass ich hier Antworten erhalten habe und ich zumindest inhaltlich unterstützt werde, Frau Schmidt etwa fordert einen Mindestlohn für Werkstattmitarbeiter*innen. Ich hoffe nur, dass das nun alles auch im Bundestag noch einmal aktuell wird.“
Den Umstand, dass Werkstattmitarbeiter*innen Leistungen der Wiedereingliederung zustehen, etwa in Form individueller Begleitung und pädagogisch-therapeutischer Unterstützung, betrachtet Heyden übrigens in ihrem Fall nicht als gültige Begründung für einen niedrigen Lohn von Staatswegen: „Diese Leistungen bringen Menschen mit starken Behinderungen sicherlich mehr – mir aber nicht.“
Die Lebenshilfe Gießen schafft und vermittelt auch reguläre sozialversicherungspflichtigen Jobs an Menschen mit Behinderung und möchte diesen Ansatz noch weiter ausbauen. Iris Heyden sieht sich selbst gesundheitsbedingt allerdings noch nicht auf den ersten Arbeitsmarkt zurückkehren. „Für mich war das bislang noch nicht möglich, da ich aufgrund meiner Behinderung etwas langsamer arbeite, als es oftmals gewünscht ist. Generell müssten Arbeitgeber hier aktiv werden und die Rahmenbedingungen schaffen, damit es auch Personen wie mir ermöglicht wird, auf dem Arbeitsmarkt zu arbeiten. Sicherlich braucht es hierzu auch Unterstützung und Impulse von Seiten der Politik“, sagt Heyden, bleibt hierbei jedoch kämpferisch: „Ich habe mich in meiner jetzigen Situation dazu entschlossen, mich auch zukünftig für einen höheren und vernünftigen Werkstattlohn einzusetzen.“