Gießener Verkehrswende-Aktive rufen Beteiligte an Koalitionsverhandlungen zu mutigen Beschlüssen auf
In der vergangenen Kommunalwahl haben die Parteien und Listen gewonnen, die im Wahlkampf für eine engagiertere Klima- und Verkehrspolitik eingetreten sind. Viele Verkehrswende-Aktive zeigten sich darüber erfreut und schöpften Hoffnung, dass sich tatsächlich endlich etwas wirklich Wirksames tut. Wahlergebnisse und Versprechungen alleine bewirken den stadtpolitischen Wandel jedoch noch nicht. „Wir hoffen, dass jetzt viele und weitgehende Taten folgen – und nicht in die sich oft nach dem Wahlkampf einstellende Realpolitiklethargie verfallen wird, in der sich in den nächsten fünf entscheidenden Jahren kaum etwas in Richtung Klimaneutralität bessert“, heißt es aus den Gießener Verkehrswende-Initiativen. Die erste Nagelprobe, an der sich zeigen wird, was die Gießener Stadtpolitik in der noch jungen Periode tatsächlich umsetzen will, bilden die laufenden Koalitionsverhandlungen. „Wir wollen die verhandelnden Parteivertreter*innen noch einmal an ihre eigenen Programme erinnern, mit dem sie gewählt worden sind.“ Neben dem heute veröffentlichten Aufruf soll eine Raddemo unter dem Motto „Haltet eure Versprechen – Verkehrswende jetzt!“ am Samstag, den 15.5 zu wichtigen Verkehrspunkten und zu den Büros der beteiligten Parteien führen. Start ist um 11 Uhr im Pfarrgarten in Gießen. Der Demozug führt von dort quer durch die Stadt über viele symbolträchtige Punkte verfehlter Verkehrsplanung und weiterer anschaulicher Plätze, an denen die Verkehrswende-Aktiven ihre Forderungen darlegen wollen. An den Parteizentralen soll gehalten werden, von den drei Parteien, die an den aktuellen Verhandlungen beteiligt sind. Hier soll den Koalitionsverhandler*innen noch einmal eingebläut werden, welche Verkehrswendebeschlüsse im Koalitionsvertrag festgeschrieben werden müssen, um das Ziel einer Verkehrswende und einer Klimaneutralität bis 2035 zu erreichen. Die Raddemo knüpft vom Motto her damit an die große Raddemo des Klimastreiktages, 19.3., über den Gießener Autobahnring an, bei dem von Friday for Future und einem breitem Bündnis von Klimainitiativen gefordert wurde, dass keine leeren Versprechungen mehr gemacht werden dürfen.
Der Aufruf lautet:
Haltet eure Wahlversprechen – Verkehrswende jetzt!
Hallo SPD! Laut eurem Wahlprogramm wollt ihr „Fußgängerzonen ausweiten“ und das Rundum-Grün an wichtigen Kreuzungen ausprobieren. Ihr wollt „Barrierefreiheit“ und mehr Tempo 30. Euer „Ziel ist, eine Art Regio-S-Bahn (ähnlich dem Kasseler Vorbild „Regio-Tram“) zu schaffen“. Der Fahrradstraße auf dem Anlagenring habt ihr ja schon zugestimmt. Der ergibt Sinn, wenn es in alle Stadtteile „verstärkt Fahrradstraßen“ gibt, wie ihr es auch versprochen habt. Außerdem setzt ihr „für einen steuerfinanzierten ÖPNV“ ein. Seid mutig – soziale und ökologische Ziele lassen sich gleichzeitig verwirklichen und sollten das auch. Sonst sind immer Teile der Menschen ausgeschlossen. Angesichts der hohen Fördermittel von Klimaschutz- und Verkehrswendemaßnahmen gibt es auch keine finanziellen Gründe, nicht beides zu wollen. Daher erinnern wir euch an euer Wahlprogramm. Haltet eure Versprechen! Keiner der Punkte widerspricht den Programmen der anderen beiden Parteien der Koalitionsgespräche. Warum also solltet ihr hinter dem Versprochenen zurückbleiben?
Auch an die Wahlsieger von den Grünen wenden wir uns: Ihr habt viele gute Versprechen im Wahlprogramm gemacht. Schon vor der Wahl habt den Fahrradstraßen auf dem Anlagenring und durch die Innenstadt zugestimmt. Darüber hinaus wollt ihr den „Ausbau von Fahrradstraßen hin zu einem zusammenhängenden Fahrradstraßennetz“, also in alle Richtungen und durchgehend. Das ist auch wichtig, damit die Sache funktioniert. Die „autofreie Innenstadt innerhalb des Anlagenrings“ ist euer Ziel. Für den Start in eine Gießener Straßenbahnzukunft wollt ihr eine erste „Regio-Tram entlang der Grünberger Straße über den Berliner Platz (wie die derzeitige Buslinie 1) Richtung Marktplatz bis zur Frankfurter Straße (wie die derzeitige Buslinie 5)“ prüfen. Zudem fordert ihr das Aus für neue Gewerbegebiete und eine „Nahversorgung“ in allen Stadtteilen. Keine eurer potentiellen Koalitionspartnerinnen hat einem dieser Punkte widersprochen. Warum also solltet ihr den großen Sprung nach vorne nicht wagen? Die Verkehrswende gelingt am besten, wenn sie als runde Sache aus vielen Maßnahmen verwirklicht wird, die gleichzeitig oder dicht aufeinander folgen.
Den Gießener Linken rufen wir zu: Ihr seid zwar nur die kleinste Fraktion in der Koalition, aber mit der Betonung der sozialen Fragen auch im Klima- und Umweltschutz wichtig. Laut eurem Programm wollt ihr „die RegioTram in Mittelhessen, die sich in öffentlicher Hand befinden soll“, „Barrierefreiheit“ und eine „autofreie Innenstadt (Anlieger frei)“. Ihr wollt „Fahrradstraßen in Gießen, die ein durchgängiges Queren der Stadt sowohl in Nord/Süd, als auch in Ost/West Achse ermöglichen“ und schlagt eine „Reduzierung der Fahrspuren bei allen Ausfallstraßen“ vor. Die Fahrradstraßen auf dem Anlagenring sind auch bei euch gesetzt. Schließlich fordert ihr „kostenlose Busse an Samstagen“ als „Einstieg in den kostenfreien Nahverkehr“. Das klingt doch gut und vor allem sehr, sehr ähnlich zu den anderen Koalitionsparteien. Achtet also mit darauf, dass ihr und die anderen den Mut haben, ihre Versprechen zu halten. Fuß, Fahrrad und ÖPNV sind ein Gesamtpaket – zusammen mit dem Verdrängen der Autos aus den sensiblen Bereichen.
Alle fordern wir auf: Bündelt alle Kräfte auf attraktive, autofreie Zonen in der Innenstadt und um sensible Einrichtungen, auf ein gutes Fahrradstraßennetz ohne weitere Flächenversiegelung und für einen besseren ÖPNV mit dem möglichst baldigen Aufbauen eines Straßenbahnnetzes. Jeder Euro und jede Baumaßnahme für Autos behindert die echte Verkehrswende: Keine neuen Parkhäuser und Tiefgaragen, keinen E-Ladesäulen und anderen Vergünstigungen für die Rohstofffresser, sofortiger Ausstieg der Stadtwerke aus der E-Autoförderung. Wir haben viel Kraft und Zeit in Aktionen gesteckt, umfassende Verkehrswendepläne erarbeitet und euch überreicht. Macht jetzt was draus. Wir wünschen uns frischen Schwung im Magistrat und anderen wichtigen Stellen. Verkehrswende und Klimaschutz müssen mit deutlich mehr Tempo und in großen Schritten umsetzt werden. Ihr alle habe dem Ziel, bis 2035 klimaneutral zu werden, zugestimmt. Wenn wir das nicht schaffen, ist es nicht einfach nur ein weiteres Nichteinhalten eines Beschlusses, sondern es droht ein unumkehrbares Desaster. Dann werden auch keine Verfassungsklagen mehr helfen.
- Eine komplette Übersicht zu den Wahlprogrammen der Gießener Parteien beim Thema Verkehrswende findet sich auf parteiversprechen.siehe.website.
Kurz inhaltlich zu dem Artikel.
Er ist schon in Ordnung. aber die Überschrift geht völlig in die falsche Richtung.
Was soll ein Appell auf der moralischen Schiene an solche …… wie die etablierten Parteien im Giessener Rathaus? (Demnächst ist vielleicht auch die Wählergemeinschaft “Gießener Linke” dort zu besichtigen.)
Wir wissen doch seit Jahren, wenn dort irgendjemand sagt: Es scheint vor dem Rathaus die Sonne und Du hast keinen Schirm dabei, wirst Du garantiert auf den Heimweg nass, weil es in Strömen regnet. Oder anders ausgedrückt: Die beherrschen die Technik von alternativen Wahrheiten recht gut.
Wer versucht diesem …. mit Moral an den Karren zu fahren befindet sich völlig auf dem Holzweg. Die lachen doch nur über solches Ansinnen halb tot. Bei denen zählt einzig und allein knallharte Realpolitik.
Was ist das in der angesprochenen Fragestellung?
Die Antwort gibt die Initiative selber. Nicht den Kampf vorzeitig aufgeben und das Heft des Handelns ins Rataus abgeben, sondern vereint mit den Euch unterstützenden Fraktion(en) in der Stadtverordnetenversammlung und den Mitstreitern auf der Straße gemeinsam streiten. (Aktionseinheit von parlamentarischer und außerparlamentarischen Oppoition).
Ich wünscher Euch viel Ausdauer (nachdem Euer erster Anlauf ja auf die lange Bank geschoben wurde).
Richtig, ihr müßt diesen …… immer hautnah auf die Pelle rücken. Deswegen ist Eure Idee bei der nächsten Demonstration vor die Parteibüros zu fahren richtig.
Aber noch wichtiger ist, dass Euer Thema von den befreundeten Fraktion(en) wenn möglich irgendwie immer auf die TO der Parlamentssitzungen gebracht wird UND Ihr dann die einlaufenden Parlamentarier in einem Spalier vor derm Sitzungssaaal begrüßt. Das dürfte wirklich helfen, denn dann setzt sich beim herrschenden Block irgendwann die Erkenntnis durch: Da müssen wir etwas machen, das können wir nicht aussitzen.
Wie lautet der uralte Kalauer: Wahlversprechen sind Passagen bei denen sich die Redner versprochen haben /(und genau das Gegenteil wollen).
Auf die Schnelle nur eine Korrektur (inhaltlich schreibe ich später):
Im Artikel steht: ….”von den drei Parteien, die an den aktuellen Verhandlungen beteiligt sind ” …
Das ist falsch! Die an den Verhandlungen beteiligte “Gießener Linke” ist keine Partei, sondern eine Wählergemeinschaft. Sie besteht aus drei “Teilnehmern. Und zwar eine parteiunabhängige linke Gießener Gruppe namens “Linkes Bündnis” und zwei Ortsgruppen von Parteien (DKP und PdL).
Das ist jetzt keine Haarspalterei, denn es herrschen große Unterschiede zwischen den durch und durch verknöcherterten in Apparate gezwängete Parteien und Wählergemeinschaften, meist ohne große Orginationsstruktur, aber oft mit vielen guten Ideen.